Praxis-Tipps

Mundart im Gottesdienst

Sprache fürs Herz

„S wär gut / wenn mir pfarrer tätet / ab on zu schwäbisch prediga. Do hat jedes wort en wert ...“

Was hier – sicherlich mit einem Augenzwinkern – von dem evangelischen Pfarrer Manfred Mergel notiert ist, lässt sich leicht auf andere Mundarten übertragen. Welche Wirkung hat es, dort, wo ab und zu Fränkisch, Rheinisch, Plattdütsch, Schwiizertüütsch, Sächsisch, Badisch gepredigt wird? Dort, wo jedes Wort „einen Wert“ hat, vielleicht einen größeren Wert für die hörende Gemeinde als eine Predigt in nüchternem Hochdeutsch?

Tatsächlich werden regionalsprachliche Gottesdienste zunehmend beliebter. In manchen Regionen oder Pfarreien sind sie fester Bestandteil im Kirchenjahr und werden zu bestimmten Anlässen gefeiert. Gerade am Beginn oder Ende eines Arbeits- und Schuljahres bietet es sich an, den eigenen Kontext in den Blick zu nehmen und gemeinsame Anliegen und Betroffenheiten vor Gott zu bringen – in der eigenen, ganz persönlichen heimatlichen Sprache.

Mit einer Mundart, einem Dialekt, wird Brauchtum in die Liturgie eingebracht. Wo ein Brauchtum gepflegt wird, zeigen sich Traditionen, die den Menschen Halt und Struktur geben, weil sie Sinn und Verwurzelung deutlich machen. Brauchtum hält die Verbundenheit mit früheren Generationen aufrecht und ehrt somit das, was heimisch und einer bestimmten Region eigen ist. Brauchtum stellt Vertrautheit her und ist oft hochgradig emotional. Mundartgottesdienste zeigen ein Stück regionale Kultur.

Der Standardsprache oder Schriftsprache haftet meistens etwas Gelerntes und Offizielles an. Sie wird als Mittel zur Verständigung und zur Weitergabe von Informationen genutzt. Je näher Menschen aber in Beziehung zueinanderstehen, bedeutet Sprache mehr: Heimat, Zugehörigkeit, Verbundenheit. In der einheimischen Sprache ist der Tonfall melodiöser, die Aussprache verspielter, der Rhythmus weicher – so kann es empfunden werden im Gegensatz zur Standardsprache. Was man in der eigenen Mundart hört, kann einen tief berühren. Für viele Menschen ist es die Sprache fürs Herz.

Doch eignet sich ein Gottesdienst für so etwas wie Brauchtum überhaupt? Sollte die Liturgie nicht in allgemeinverständlicher Sprache gefeiert werden? Entfernt man sich mit Mundart, Dialekt oder regionalen Varianten nicht von gehobener Qualität und sorgt am Ende noch für Entfremdung mancher Gemeindemitglieder und Mitfeiernder? Angesichts von um die 90 % Migrantenkindern in manchen Stadtvierteln und Schulen scheint ein Gottesdienst in Mundart wie aus der Zeit gefallen. Trotzdem: Auch für Kinder kann es spannend sein zu erleben, wie die regionale Kultur und das Brauchtum gepflegt werden. Sie finden sich in einer anderen Umgebung oft schnell zurecht und erfahren, was ihren einheimischen Mitschülerinnen und -schülern etwas bedeutet.

 

Verkündigung geschieht mündlich

Ein Gottesdienst bedeutet gemeinsames Feiern. Dort geschieht Verkündigung, indem die Mitfeiernden Zeugnis geben von ihrem Glauben. In der Apostelgeschichte erfahren wir an einer Stelle explizit, wie Petrus die versammelte Menge eindringlich darauf hinweist, was Jesus von ihnen erwartet: „… und er hat uns geboten, dem Volk zu verkündigen …“ (Apg 10,42). Alles, was überliefert ist, geschah zuerst mündlich: Gott sprach zu Mose, Mose sprach zum Volk, der Engel sprach zu Maria. Die Bibel spricht an vielerlei Stellen davon, was ein direktes Ansprechen in einer bestimmten Sprache bewirkte. „Verstehst du auch, was du liest?“ (Apg 8,30), so fragt Philippus einen Mann, der sich nach dessen Erklärungen taufen lässt. An anderer Stelle wird Petrus von dem Hinweis: „Deine Mundart verrät dich“ (Mt 26,73) kalt erwischt. Das Ereignis am leeren Grab und die zärtliche Anrede „Rabbuni“ (Joh 20,16) trifft Maria ins Herz. In jedem dieser Dialoge ging es für das Gegenüber um eine lebensentscheidende Wendung.

Was einem persönlich mitgeteilt wird, berührt und prägt sich ein, mehr als das, was man liest. Das war bei den ersten Christen der Fall und ist bis heute so. Verkündigen lebt vom Sprechen. Das Ansprechen verbinden wir untrennbar mit der Person, die uns anspricht, und doch geht es noch darüber hinaus: Auch das, was wir hören, spricht uns an und dringt in das Innere. Es ist Gemeinschaft mit anderen und damit etwas, was wir gemeinsam erleben, hören und miteinander teilen. So ist es bis heute. In der vertrauten, regionalen Sprache die Liturgie zu feiern, kann heißen: Der, der da predigt, ist einer von uns. Die, die uns die Worte der Schrift auslegt, spricht unsere Sprache. So lässt sich das Wort vielleicht leichter annehmen. Es spricht mich vielleicht direkter an als wenn ich es in der offiziellen Sprache höre.

Die einheimische Sprache berührt uns, weil sie etwas anregt, was wir von frühester Jugend kennen. Sie ist persönlich und auf die Umgebung bezogen, in der wir uns zu Hause fühlen. Wo man in einer Region ein Zusammengehörigkeitsgefühl erlebt, wo man spürt, dass es gemeinsame Interessen gibt, und wo man auch die Sorgfalt in der Pflege des Brauchtums spürt, werden Menschen manchmal leichter in diese Gemeinschaft mit einbezogen als durch so manche Anstrengungen.

Wir wissen heute, dass Dialekte verlorengehen, weil viele, gerade jüngere Menschen vorwiegend Hochdeutsch sprechen und modernes Vokabular nutzen, das mehr dem Zeitgeist entspricht. Besonders reichhaltiger regionaler Wortschatz verschwindet immer mehr. Gerade darum gibt es fast überall Gruppen, die Sprachvarianten, Dialekte und Mundart als schützenswert herausstellen und sich um den Erhalt dialektaler Vielfalt bemühen. Nicht wenige Pfarrer – oft genug katholisch und evangelisch kooperierend, weil das Gemeindeleben ökumenisch und die heimatliche Verbundenheit selbstverständlich ist – entwerfen mit viel Liebe und Hingabe mundartliche Gottesdienste und widmen sich der Übertragung von Gebeten aus dem Schriftdeutschen in den Dialekt. Viele erhalten darauf sehr positive Resonanz. Gleichwohl ist damit nicht gemeint, dass ein mundartlicher Gottesdienst keine Standardsprache mehr nutzen sollte, was vor allem für liturgische Wendungen und formelhafte Gebete gilt. Hier ist sicherlich Fingerspitzengefühl der Menschen vor Ort gefragt.

Das Ende oder der Beginn eines Schul- und Arbeitsjahres kann ein dankbarer Anlass sein, um mundartliches Brauchtum im Gottesdienst einmal auszuprobieren. So wie es bei Pfarrer Mergel heißt: „En onsrer Kirch wird Schwäbisch gschwätzt“, können auch Sie Ihre Gemeindemitglieder einmal zu einem Gottesdienst in ihrem heimischen Dialekt einladen. Wetten, dass sich viele Menschen daran erfreuen werden?

Lioba Faust

 

Zurück zur Übersicht

Newsletter Verlag Pustet

Erhalten Sie als Erster:

  • Infos über Neuerscheinungen
  • Veranstaltungstipps
  • Pressestimmen
Abonnieren

Buchreihe
konkrete Liturgie

Die ideale Ergänzung zu Liturgie konkret.

Alle Bücher

Formate & Preise
im Vergleich

Gedruckt oder digital - was passt zu mir?

Zur Produktübersicht

Bücher von
Pustet

Erfahren Sie mehr über das Traditionsunternehmen Pustet:

Verlag Friedrich Pustet
Buchhandlungen
Grafischer Großbetrieb